Es waren schwierige Zeiten, damals, vor über hundert Jahren. Deutschland hatte den Krieg verloren. Die Wirtschaft lag am Boden, die Versorgungslage war schlecht. Auch die Strausberger Kleinbahn hatte unter den Folgen des 1. Weltkrieges stark zu leiden. Die Kohlen waren knapp, und Arbeitsplätze gab es auch nicht genug. Kommunale Infrastrukturprojekte wurden daher in dieser Zeit staatlich gefördert. Dies veranlasste die Stadtverordneten, am 20.03.1919 einen Sonderausschuss für den Bau einer elektrischen Straßenbahn zu bilden — eine Idee, die schon Anfang des Jahrhunderts aufgekommen war, aber wegen des Krieges auf Eis gelegt worden war. Die staatliche Förderung wurde bereits im Mai bewilligt unter der Bedingung, dass die Arbeiten bis zum 31.12.1919 abgeschlossen wären. Im Juni beschlossen die Stadtverordneten, die elektrische Straßenbahn in die Strausberger Eisenbahn AG einzubringen und neben dem Bahnhofsgebäude Strausberg Stadt die Wagenhalle der Straßenbahn zu errichten. Die Bauarbeiten an der Straßenbahntrasse begannen im Juli, dauerten aber viel länger als ursprünglich geplant, weil es einfach an allem haperte und um jeden Meter Schiene und jeden Sack Zement gerungen werden musste. Die extremen Preissteigerungen von Monat zu Monat veranlassten die Stadtverordneten im Februar 1920 schließlich, auf den Bau des Abschnitts durch die Große Straße vorerst zu verzichten und die Strecke an der Post enden zu lassen. Am 15.04.1920 wurde Richtfest an der Wagenhalle gefeiert und beschlossen, auch die alte Kleinbahnstrecke ab Hegermühle bis Stadt zu elektrifizieren, um den Güterverkehr ebenfalls elektrisch betreiben zu können — Brennstoffe waren auch 1920 noch knapp: „Mit Mühe und großen Kosten hat die Bahnverwaltung jetzt Koks aus Privathand beschafft, um den Verkehr aufrecht zu erhalten. Gründliche Reparaturen können an den Wagen nicht vorgenommen werden, da sie täglich gebraucht werden und ein Gesuch an die Staatsbahn um leihweise Überlassung von Personenwagen abschlägig beschieden wurde.“ So berichtet die Schriftleitung in der Strausberger Zeitung vom 08. Juni 1920. Große Hoffnung setze man in den elektrischen Betrieb, hieß es weiter. Im November 1920 traf der erste elektrische Triebwagen ein, Ende Dezember begannen die Probefahrten. Am 16.03.1921 nahm die Strausberger Eisenbahn AG den elektrischen Betrieb nach Fahrplan auf.
Die elektrische Straßenbahn war wie erhofft ein Segen für die Stadt. Die Bevölkerung wuchs, und die Berliner entdeckten Strausberg für sich als Ausflugsziel am Wochenende. Davon profitierte nicht nur das Verkehrsunternehmen, sondern auch die Restaurants, Cafés, der Bootsverleih, die StrausseeFähre und vieles mehr. Die StrausseeFähre wurde übrigens schon vor der Bahn — zwischen 1913 und 1915 — elektrifiziert.
2021 — einhundert Jahre später — ist die sechs Kilometer lange Tramlinie 89 aus dem Strausberger Stadtbild nicht mehr wegzudenken. Täglich nutzen rund 4.000 Fahrgäste die Bahn, die kaum moderner sein könnte. Die Fahrzeuge sind nahezu barrierefrei, sowohl für mobilitäts- als auch sensorisch eingeschränkte Fahrgäste. An den Haltestellen zeigen interaktive Informationsstelen den nächsten Zug in Echtzeit an. Und für zeitgemäßen Komfort sorgen Heizung und Klimaanlage der Züge.
So aktuell die Technik hier auch sein mag, für die Mobilität von morgen müssen neue Konzepte her, die den Individualverkehr fokussieren. „Gerade durch die starke Gemeinschaft in der Stadtwerke Gruppe Strausberg werden sich gute Chancen für die weitere Entwicklung der Strausberger Eisenbahn GmbH ergeben“, ist sich Geschäftsführerin Irina Kühnel sicher. „Ich denke an Quartierskonzepte, die die Mobilität für die Bewohner zukünftig noch intensiver mitdenken — eben nicht nur durch die Bereitstellung von Parkplätzen oder Tiefgaragen. Nachhaltige Verkehrsmittel müssen dorthin, wo die Menschen wohnen. Leihfahrräder und vielleicht auch Lastenfahrräder, Ladestationen für Elektroautos, Carsharing-Fahrzeuge könnten direkt in den Quartieren bereitgestellt werden. Wenn es uns gelingt, eine am Bedarf der Bewohner ausgerichtete Verbindung zwischen den Quartieren zum nächstgelegenen Nah- und Fernverkehrsmittel zu schaffen, wird auch ein traditionelles Verkehrsmittel wie eine Straßenbahn noch lange Zeit einen wichtigen Beitrag zur Mobilität in der Stadt leisten können.“
Ausführliche Informationen über die Geschichte der Strausberger Eisenbahn finden Sie in dem Buch von Ivo Köhler: „Strausberger Eisenbahn. Von Dampfzügen, Bullen, Straßenbahnen und Oberleitungsfähren“, erschienen 2013 im GVE-Verlag unter der ISBN 978-3-89218-210-8.